006-Hass ist das Gift unserer Zeit

Es gibt Sätze, die habe ich trotz meines fortgeschrittenen Alters noch nie in den Mund genommen. Aus dem einfachen Grund, weil ich sie noch nie gedacht habe. “Früher war halt alles besser” ist so ein Satz. Was ich aber feststelle und sogar ganz laut sagen muss, weil es mir Kummer macht, ist die Tatsache, dass die Empathie in unserer Gesellschaft immer mehr verloren geht. Warum ist das so gekommen? Und was kann ich dagegen tun?

Zur ersten Frage gibt es viele Untersuchungen. Ich bin Ingenieur und kein Psychologe oder Sozialwissenschaftler. Deshalb kann und will ich hier nur einen ganz subjektiven Aspekt zu dieser Diskussion beisteuern.

In meinem Berufsleben habe ich viel mit Jugendlichen zu tun gehabt, oft ganz unterschiedlicher Nationalität. Das hat mir immer großen Spaß gemacht. Es hat mir geholfen, mich weiterzuentwickeln. Und noch heute vermisse ich die jungen Menschen.

Nach meiner Pensionierung bin ich viel gereist. Antrieb war dabei immer, die Kultur des bereisten Landes kennenzulernen. Natürlich habe ich auch die Schönheit der Natur in der jeweiligen Gegend genossen. Wichtig waren mir aber immer die Menschen. Wieder und wieder habe ich trotz der häufigen Sprachbarrieren versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Mein zum Wohnzimmer ausgebauter Geländewagen ;-), der für ein paar Jahre unser Zuhause war, hat mir da viel geholfen, insbesondere bei jungen Männern zwischen sechzehn und sechsunddreißig. 😉 Haben wir irgendwo Station gemacht, war da immer gleich eine Traube um mein Auto und schnell waren wir beim Fachsimpeln.

Ich habe versucht, ihr Anderssein zu verstehen. Und ja – ich habe bei solchen Gesprächen mit meiner Meinung nie hinter dem Berg gehalten, was manchmal das Gespräch abrupt beendete (insbesondere bei älteren Menschen) , meist aber zu einer interessanten, oft sogar fruchtbaren Diskussion führte (oft bei eher jüngeren Menschen).

Meine sehr unterschiedlichen Hobbies (Technik, Programmieren, Reisen und Poesie) haben mir schon oft das Gefühl gegeben, dass sie mich nicht zur Ruhe kommen lassen, mich zu hektisch machen. Auch der Vorwurf der Oberflächlichkeit kam weniger von anderen Leuten, sondern entstand immer wieder aufs Neue in mir selber. Damit einher geht die Erkenntnis, dass mit zunehmendem Alter die Freunde weniger werden, schleichend und manchmal unmerklich. Bei Menschen, die mich mögen, haben meine zahlreichen Hobbies zu der mehr oder minder deutlich, oft erstaunt geäußerten Frage geführt, ob ich denn nicht auf zu vielen Hochzeiten tanze. Noch schlimmer ist das manchmal aufkommende Gefühl, nirgendwo daheim zu sein, ein Vagabund zu sein.

Aber ein paar unschätzbare Vorteile hat meine große Neugier und die Vielfalt meiner Interessen immer gehabt. Was mich selbst angeht, habe ich das Gefühl, auf diese Weise jung zu bleiben. Was meine Mitmenschen betrifft, sehe ich sehr scharf, wie die Leute sich oft nur in ihrer eigenen Blase bewegen, weil sie sich dort sicher und damit heimisch fühlen. Einerseits verstehe ich das. Denn auch ich finde es immer wieder anstrengend, mich aus der eigenen Komfortzone herauszubewegen. Andererseits glaube ich, dass genau hier das Grundübel unserer Gesellschaft liegt.

Die Globalisierung und die rasant voranschreitende Technisierung der uns umgebenden Welt machen Angst. Angst erzeugt Abgrenzung, nagt an der Selbstsicherheit und mindert die Fähigkeit zur Differenzierung. Selbsternannte Heilsbringer, die alles genau wissen und die Dinge ganz simpel erklären können, haben heutzutage Hochkonjunktur. Für besonders gefährlich halte ich dabei die Demagogen, die aus einer materiell komfortablen Situation heraus sehr geschickt an den Intellekt des Lesers, bzw. Zuhörers appellieren, um eben diesem dann umgehend ihre kruden Ideen zu “verkaufen”. Weglassen von Tatsachen, Verzerrung von Wahrheiten und suggestive Fragen gehören zum Repertoire dieser Leute. Nie wird dabei vergessen, auf die angeblich alles nivellierenden Medien und die windelweichen, selbstherrlichen Demokraten hinzuweisen.

Ich bin vor ein paar Jahren bei Facebook und Instagram eingetreten, weil ich als Rentner meinen guten Draht zur Jugend nicht verlieren wollte. Diese Entscheidung war durchaus hilfreich. Ich habe viele Bekanntschaften gemacht, die mich weitergebracht haben. Stärker als alles andere ist aber inzwischen die Angst geworden.

Ich meine nicht die Angst vor den global agierenden Konzernen, die mich mit Hilfe unfassbar großer Datenmengen manipulieren. Dieses Gefühl ist zwar auch vorhanden, aber es lähmt mich nicht. Denn ich weiß, dass ich es mit vielen Zeitgenossen teile und dass ich etwas dagegen tun kann. Was mich aber zunehmend mehr erschreckt und sich inzwischen in schlichte Angst verwandelt hat, ist der Hass, der sich in dieser digitalen Welt rasend schnell verbreitet und zunehmend auch die analoge Welt unserer Nachbarschaft infiltriert.

Der Hass ist das Gift unserer Zeit. Er zerstört jegliche Art von Form und wütet gegen alles Etablierte. Ich war und bin ganz sicher nicht der Meinung, dass in unserer Gesellschaft alles gut war oder ist. Aber woraus sollen junge Menschen Hoffnung schöpfen, wenn immer mehr Strukturen zerfallen? Ich weiß es nicht.

Nun zu meiner zweiten Frage: Was kann ich tun?
Der Leser muss wissen, dass mich nur die jungen Leute interessieren, denn sie gestalten unsere Zukunft. Und -ein wenig Eitelkeit sei erlaubt- bei der Jugend kenne ich mich aus.

Um junge Menschen zu überzeugen, muss man immer bei sich selbst anfangen. Womit bei sich selbst anfangen?

Zunächst muss ich immer schauen, wo denke, spreche oder agiere ich stereotyp oder ausgrenzend. Die Grenzüberschreitung zu bemerken, ist leicht. Es fällt nur schwer, darauf hinzuweisen. Dem harmonischen Zusammensein wird möglicherweise die Harmonie genommen. Es ist einfach, mit Gleichgesinnten zu demonstrieren und treffsichere Kommentare zu retweeten. Viel schwieriger ist es, Menschen, die man achtet, auf ausgrenzende Denkmuster hinzuweisen. Denn man wird zum Störenfried, der sich und andere der Bequemlichkeit entreißt. Das kann richtig weh tun. Aber die Dinge werden nicht besser, wenn man sie nicht benennt.

Womit wir beim zweiten Punkt sind: Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Doch das wird für mich zunehmend schwieriger. Vielleicht weil ich mit zunehmendem Alter zaghafter werde. Vielleicht weil mit zunehmendem Alter die Angst wächst, Freunde zu verlieren und dadurch einsamer zu werden.

Aber wenn ich dann wieder die vielen jungen Leute sehe, die sich auf so vielfältige Weise einbringen, dann frage ich mich, wovor ich alter Knacker eigentlich Angst habe. Sicher nicht davor, als Gutmensch verspottet zu werden. Wenn ich an meine wunderbare Familie denke, überkommt mich tiefe Dankbarkeit. Dann habe ich wieder tausend Ideen, wie man Zusammengehören und Anderssein verbinden kann. Das Vertrauen kehrt zurück, dass das Leben einen Sinn hat. Der Mut steigt. Ich tue etwas. Ich gehe auf andere zu. Und ganz plötzlich sieht die Welt wieder besser aus.

<© Jörg Zschocke>


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