001 Unwiderstehlich

Ein Lächeln, zart wie die ersten Sonnenstrahlen des herannahenden Frühjahres, dachte er versonnen. Leider galt es nicht ihm. Aus dem Augenwinkel taxierte Herr Sorgenfrey den Herrn neben sich. Viel jünger als er konnte der Typ nicht sein. Gut, etwas sportlicher schaute er aus. Aber diese Riesenbrille da oben in dem schon licht wertenden Haar sah doch dämlich aus. Erkannte die Frau ihm gegenüber denn nicht, dass der Mensch neben ihm aller Wahrscheinlichkeit nach ein ziemlicher Lackaffe war? Tja, das Lächeln hatte seinem Nachbarn gegolten und nicht ihm. Das war nicht weg zu deuten.

Zu allem Überfluss malte er sich dann auch noch aus, wie er sich vorstellen würde: »Gestatten, Sorgenfrey.« Er musste sich eingestehen, dass seine Frustration eher zunahm.

Herr Sorgenfrey war nicht glücklich mit dem Namen. Wann immer er sich jemandem vorstellte, fügte er zwar hinzu »Sorgenfrey mit einem Ypsilon am Ende«. Das tat er schon automatisch. Aber es half nicht wirklich. Manchmal würde er lieber Moppelmann heißen. Jörg Erich Moppelmann würde besser zu seinem Charakter passen, fand er. Denn er war ein sehr geduldiger und gutmütiger Mensch. Dass er außerdem hilfsbereit war, bekam er jeden Morgen von Frau Fuchs bestätigt, wenn er ihr die Haustür aufhielt, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. Manchmal war die Zeitung auch noch nicht im Kasten. In solchen Fällen gelang es ihm immer, Frau Fuchs zu beruhigen, bis der Zeitungsjunge eintraf. Aus diesem Grunde wusste er, ebenfalls von Frau Fuchs, dass er ein sehr geduldiger Mensch war. Dabei war es für ihn nicht unangenehm, der alten Frau zuzuhören. Er staunte immer wieder, wie viele Einzelheiten sie mit ihren beinahe achtzig Jahren noch wiedergeben konnte.

Dass zumindest seine Nachbarschaft ihn auch als gutmütig qualifizierte, wusste er aus keiner direkten Quelle. Aber Frau Hartwig auf der anderen Seite seines Hauses hatte ihn überall als tollen Babysitter angepriesen. Frau Hartwigs Tochter wollte ihn unbedingt als Opa haben, wo er doch die kleine Eila bisher nur ein paar Mal gehütet hatte. Eila war acht Jahre alt und ein sehr aufgewecktes Kind. Er hatte ihr Geschichten aus seiner Kindheit erzählt und sogar mit ihren Barbiepuppen gespielt. Daraufhin hatte die Kleine ihrer Mutter erklärt: »Der wird mein Opa. Der ist so lieb.«

Mit Damen zwischen acht und achtzig fand Herr Sorgenfrey den Umgang deutlich schwieriger, sofern es denn überhaupt zu einer diesbezüglichen Gelegenheit kam.

Er war ein konservativer Mensch und hatte sich schon immer gesagt, dass er nicht jede Mode mitmachen musste. Aber in letzter Zeit hatte er sich öfter beim Grübeln ertappt, nachdem es ihm wieder nicht gelungen war, den Blick einer Schönheit zu erhaschen. Zugegeben, es war auch ein wenig das schlechte Gewissen, das ihn dann stets auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Schließlich war er seit dreißig Jahren mit einer schönen und klugen Frau verheiratet. Glücklich verheiratet, wäre seine Antwort gewesen, so ihn denn jemand gefragt hätte. Aber das war noch nie vorgekommen.

Jedenfalls war er sehr glücklich damals gewesen, als Susi ihm ein schmachtendes »Aber klar doch, Liebling!« entgegen gehaucht hatte, noch bevor er seine Frage richtig herausgestammelt hatte. Denn ein Stammeln war es gewesen, als er um ihre Hand anhielt.

Aber das hatte Susi überhaupt nicht gestört. Verständnisvoll hatte er hingenommen, dass sie ihren Mädchennamen behalten hatte. Somerset klang ja auch besser als Sorgenfrey. Es klang sogar besser als Susi Moppelmann. Und überhaupt, wenn man Susi Somerset heißt, nimmt man keinen anderen Namen an. Das war ihm gleich klar gewesen.

Eines Tages war er zu dem Schluss gekommen, dass die Zeit reif sei für Veränderungen. Er fand es plötzlich lächerlich, immer noch diese alte Strickjacke zu tragen, die ihm seine Mutter vor zehn Jahren gestrickt hatte. Mit dem Aftershave war das schwieriger. Das nahm er zwar auch schon seit etwa zehn Jahren, aber Susi hatte es ihm zum Geburtstag geschenkt. Seitdem hatte er sich immer wieder genau dieses Aftershave gekauft, als hätte er Angst, sonst seine Vergangenheit zu verlieren.

Doch da war die Stimme, die ihn immer wieder mahnte, sich endlich zu ändern und ein moderner Mensch zu werden. So beschloss Herr Sorgenfrey, mutig zu sein und seine eigene Zukunft aktiv in die Hand zu nehmen.

Auslöser war der Artikel in einer bunten Zeitschrift beim Zahnarzt gewesen, der sich darüber ausbreitete, dass Männer nach etwa sieben Ehejahren nicht mehr genügend für ihr äußeres Erscheinungsbild investieren würden.

Deshalb kaufte sich Herr Sorgenfrey ein Aftershave mit dem verheißungsvollen Namen ›Irresistible‹, was auf Deutsch so viel heißt wie ›Unwiderstehlich‹.

Auf den ersten Einsatz dieses Wässerchens setzte er große Hoffnung. Doch seine Angetraute zeigte keinerlei Reaktion. Als er Susi gereizt auf sein neues Rasierwasser hinwies, ihr den schönen Mann auf der Flasche unter die Nase hielt und ihr schließlich den Preis nannte, erwiderte sie mit fürsorglicher, ja beinah tröstender Stimme, sie verstünde nicht, dass er so enttäuscht sei.

Auf seine erstaunte Gegenfrage »Wieso?« antwortete sie trocken: Es sei doch allgemein bekannt, was heutzutage von Werbung zu halten sei.

<© Jörg Zschocke>


Diese Geschichte stammt aus dem Buch
“Auswandern nein – Heiraten ja”

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